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Titel
Botanophilie. Mensch und Pflanze in der aufklärerisch-bürgerlichen Gesellschaft um 1800


Autor(en)
Ruppel, Sophie
Erschienen
Köln 2019: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
558 S.
von
Meike Knittel, Universität Bern

Im Zeitalter der Aufklärung beobachtete, sammelte und beschrieb ein wachsender Personenkreis Pflanzen in der freien Natur und vermehrt auch im Haus. Wer Zeit und das nötige Geld aufbringen konnte, besorgte sich Zeitschriften, unternahm Wanderungen oder untersuchte, wie sich Wasser, Luft und Elektrizität auf einzelne Schnittblumen und ganze Bäume auswirkten. Es herrschte eine wahrhafte Begeisterung für Pflanzen und botanisches Wissen, welche Zeitgenossen als «Botanophilie» bezeichneten. Wie sich durch diese intensive Beschäftigung der Status der Pflanze, aber auch der botanisierenden Menschen in der aufklärerischen Gesellschaft veränderte, zeigt Sophie Ruppel in ihrer als Habilitationsschrift an der Universität Basel eingereichten Studie für den deutschsprachigen Raum kenntnis- und detailreich.

Zu Beginn der Studie skizziert Ruppel die geschichtswissenschaftlichen Forschungsfelder, in denen sie ihre Arbeit verortet und gibt einen Überblick über den umfangreichen Korpus gedruckter Quellen. Den botanikhistorischen Hintergrund liefert die Autorin auf Basis biologiegeschichtlicher Überblickswerke und reichert diese mit Beispielen aus Primärquellen an. Der analytische Hauptteil der Monographie besteht aus drei Abschnitten, von denen der erste die Pflanze in den schriftlich niedergelegten Naturauffassungen der Zeit untersucht, während der zweite botanische Wissenspraktiken diskutiert. Gegenstand des dritten Teils ist der Wandel der Alltagspraktiken, genauer gesagt die Entwicklung der Zimmerpflanzenkultur. Auf acht anschliessend eingeschobene Farbtafeln, deren Motive im Verlauf der Studie untersucht werden, folgt eine Zusammenfassung der Ergebnisse, die in einer Diskussion des Begriffs der Aufklärung mündet.

Ausgehend vom heute wieder wachsenden Interesse an der Pflanze als Lebewesen fragt Ruppel nach der Mensch-Pflanze-Beziehung im Zeitalter der Aufklärung, jener Epoche, in der gemeinhin die Trennung von Natur und Kultur verortet wird. Der von der Forschung zunehmend infrage gestellten Definition einer Aufklärung, die primär mit Rationalität, Säkularisierung und Objektivierung der Natur verbunden wird, stellt Ruppel eine Aufklärung «als vielschichtige und vielstimmige historische Epoche» gegenüber (S. 23). Sie legt dar, dass die spätaufklärerische Gesellschaft Pflanzen als dem Menschen ähnlich oder «verwandt» ansah und eine Trennung beider in den Quellen erst Mitte des 19. Jahrhunderts fassbar ist. Ruppel zeigt auf, dass die botanisch-aufklärerisch Aktiven Überlegungen zu den Gelenken, Nerven und zum Blut der Pflanzen anstellten, da sie diese als Lebewesen und nicht als Maschinen verstanden, die sich ernährten und schliefen, sich bewegten und fortpflanzten. Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden Pflanzen immer stärker als Gegenstände im bürgerlichen Haus wahrgenommen. Damit einher ging eine Trennung der Gemeinschaft der Botanophilen in professionelle, wissenschaftliche Botaniker und die zunehmend als weniger seriös angesehenen Liebhaber.

Hervorzuheben ist Ruppels konsequente Berücksichtigung von Akteuren, die nach der bis heute fortwirkenden Definition des späten 19. Jahrhunderts nicht der scientific community im engeren Sinne angehören, für die Botanik der Aufklärungszeit jedoch elementar waren. Die Akteure der Mensch-Pflanze-Interaktion um 1800 und damit von Ruppels Studie sind nicht allein Botaniker im modernen Sinne, sondern beispielsweise auch Apotheker, Theologen, Reformpädagogen und adelige Frauen. Manche von ihnen lassen sich lediglich einzelne Male als Autoren von Zeitschriftenbeiträgen fassen oder werden nur als Leserschaft populärer Handbücher sichtbar, weshalb sie in botanikgeschichtlichen Studien lange Zeit unberücksichtigt blieben. Dem stellt Ruppel eine Gemeinschaft der Botanophilen gegenüber, denen die Beschäftigung mit Pflanzen Teilhabe an der aufklärerischen Wissensgesellschaft erlaubte, Möglichkeiten zur Geistes- aber auch Gefühlsbildung sowie der körperlichen und religiös-moralischen Ertüchtigung bot. Religiös-motivierte Naturforschung, das heisst Pflanzenbeobachtung als religiöse Praxis und das Verfassen botanischer Schriften mit dem Ziel der Gotteserkenntnis und des Schöpferlobs sind dabei selbstverständlich eingeschlossen.

Zu fragen wäre jedoch, ob kommerzieller Pflanzenhandel und aufklärerische Botanik tatsächlich einen so starken Kontrast bildeten, wie das die von Ruppel diesbezüglich untersuchten Quellen suggerieren, oder es sich bei den zitierten Äusserungen nicht vor allem um Abgrenzungsversuche der Akteure handelt. So zeigte Sarah Easterby-Smith für Pflanzenhändler in London und Paris, dass diese innerhalb der aufklärerischen Netzwerke agierten.1 Gleichermassen lassen sich auch für den deutschsprachigen Raum Belege finden, dass gelehrte Botaniker ganz selbstverständlich Samen bei Händlern bestellten und Universitätsprofessoren Pflanzen an ein breites Publikum verkauften. Wissenschaftliche Gesellschaften statteten auch im 18. Jahrhundert junge Männer mit den nötigen Mitteln aus, um auf Reisen gezielt Pflanzen (und andere Naturalien) zusammenzutragen, und die Reisenden verwerteten ihre Erfahrungen im Anschluss publizistisch, wie Ruppel das für die botanischen Reisevereine der 1820er Jahre zeigt. Auch das Verschicken und Verpacken von Samen und Setzlingen war für die Botanophilen des 18. Jahrhunderts ein zentrales Thema, wie handschriftliche Briefwechsel eindrücklich belegen. Dieser Kritikpunkt soll jedoch keineswegs davon ablenken, dass Ruppels lesenswerte und erkenntnisreiche Studie einen innovativen Beitrag zur Geschichte der Botanik der Aufklärungszeit liefert und zu weiteren Forschungen anregt.

Anmerkungen
1 Sarah Easterby-Smith, Cultivating Commerce. Cultures of Botany in Britain and France, 1760–1815, Cambridge 2017.

Zitierweise:
Knittel, Meike: Rezension zu: Ruppel, Sophie: Botanophilie. Mensch und Pflanze in der aufklärerisch-bürgerlichen Gesellschaft um 1800, Köln 2019. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 71 (3), 2021, S. 524-525. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00093>.

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